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Ruf der Leidenschaft
Oder wie es kam, dass ich doch keine klassische Akkordeonausbildung erhielt
Mein Vater, der aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Israel kam, war sehr stolz, dass seine Tochter so tüchtig Akkordeon spielte. Er hatte sich in seiner Jugend das Akkordeonspielen selbst beibringen müssen, um seine Kameraden beim Tanzen zu begleiten. Mir aber wollte er die beste Akkordeonausbildung verschaffen, die zu bekommen war. Als meine erste Lehrerin ihm sagte, sie hätte mir schon alles beigebracht, was sie könne, nahm er mich zu seinem Freund mit, einem Virtuosen aus seiner Heimat, damit er mir weiter helfen würde, eine „berühmte Musikerin“ zu werden.
Ich hatte mir im Stillen erhofft, dass dieser Virtuose mir die Balkantechniken zeigen würde, und dass ich endlich lernen würde, Lieder und Tänze aus Serbien zu spielen, denn diese Musik liebte ich sehr. Auch Popsongs wollte ich spielen.
Doch mein Vater hatte ganz andere Vorstellungen: Ich sollte eine klassische Ausbildung in Akkordeon erhalten. Also nur klassische Musik, nach allen Regeln. Erst wenn ich das erledigt habe, dann dürfte ich spielen was ich wollte.
Ich war damals 16 Jahre alt und hatte genug andere Flausen im Kopf als klassische Musik zu lernen. Da kam ich zu meinem neuen Lehrer. Er zeigte mir die Noten: Alles voll mit düsteren Akkorden, ganz viele Kreuze und bs, so dass mir sofort schwarz vor den Augen wurde. Diese Melodien haben mich ganz und gar nicht interessiert. Doch ich sollte zur nächsten Unterrichtsstunde das neue Stück perfekt spielen, so sagte mein Lehrer.
Nach drei Wochen ging der Lehrer - ziemlich frustriert - zu meinem Vater, um ihn zu berichten: "Avraham, spar dir dein Geld lieber, aus deiner Tochter wird nichts."
In dieser Zeit begann ich für israelische Volkstanzgruppen live zu spielen (Damals tanzten wir in Israel nur zu Livemusik) und verdiente mein Geld auch als Entertainerin mit dem Akkordeon. Am liebsten ohne Noten. Mein Vater musste seine große Pläne für mich begraben.
Viele Jahre habe ich kein Akkordeon mehr angerührt. Es waren mehrere Gründe dafür: Akkordeon war nicht mehr IN, ich studierte in Jerusalem und beschäftigte mich mit ganz anderen Sachen, und das Ding wiegt halt viel zu viel für eine Studentin ohne Auto. Erst nach über 20 Jahren, als mein ganzes Leben eine große Veränderung erfuhr, kam bei mir der dringende Wunsch auf, das Instrument wieder in die Hand zu nehmen und damit mein Geld zu verdienen.
Und ich beschloss, dass ich dieses Mal nur das spielen würde, das ich wirklich mochte. Vor allem Balkanmusik.
Zum Glück konnte ich mein Vater damit erfreuen, noch bevor er starb. Ich spielte für ihn, mit Perfektion, seine Lieblingslieder aus seiner Heimat. Die Balkantechniken habe ich mir nach und nach selbst beigebracht. Dabei halfen mir griechische und serbische Akkordeonspieler aus meinem weiteren Bekanntenkreis. Richtige Lehrer aus dem Balkan konnte ich in meiner deutschen Wohngegend leider nicht finden.
Heute bin ich glücklich, dass ich das kleine Akkordeon habe umstimmen lassen können. Das Tremolo hat jetzt so eine tiefe Stimme bekommen, wie bei einem großen Instrument, so dass, wenn ich serbische Tänze spiele, es sich wie ein großes Akkordeon anhört. Dabei muss ich an meinen damaligen Lehrer denken, der ein so feiner Musiker war, aber mir leider nicht das beibringen durfte, was mich wirklich interessierte.
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