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Mein erstes Publikum


Mein erstes Publikum waren ganz spontan die Kinder in den Jerusalemer Grundschulen, in denen ich damals in den 70er Jahren arbeitete. Etwa 12 Jahre lang war ich in dieser wunderbaren Stadt als Lehrerin für Bildende Kunst tätig.

Die Schulen, in denen ich arbeitete, waren "Integrationsschulen". Das bedeutete, dass die Kinder aus sehr unterschiedlichen Familienverhältnissen kamen. Es gab in jeder Klasse eine Mischung aus reichen Kindern (europäischer oder amerikanischer Abstammung) und Kindern aus verarmten Migranten, die aus Marrokko, Irak, Persien und andere arabischen Länder kamen. Es gab viele Kinder aus gestörten Familienverhältnissen.

Die Klassen waren damals überfüllt. Über 40 Kinder in jeder Klasse. Also - Chaos war ein normaler Zustand.

Um die Kinder überhaupt zur Ruhe zu bringen, begann ich ihnen Märchen zu erzählen, während sie an ihren Bildern arbeiteten. Es war eine tolle Erfahrung: Die Kleinen waren wie verwandelt. Zahm und lieb sassen sie da und folgten mir aufs Wort. Langsam begannen manche Kinder mir ihren Schmerz und ihr Leid in Stichworten zu erzählen. Mehrere wurden von ihren Schulkameraden gehänselt, weil sie nicht so reiche Eltern hatten, wie die anderen.

Da gab ich mir die Aufgabe, diese zu unterstützen:

Ich begann Geschichten zu erfinden, in denen die schwachen Kinder die Oberhand gewannen über die "Reichen und Starken". In meinen Märchen war der Held ein Behinderter oder armes Kind, das so eine wunderbare Tat vollbrachte, dass alle ihn oder es zum Schluss bewunderten und nie wieder auslachten.

Ich suchte auch Märchen, die die Ängste der Kinder lindern konnten und veränderte sie nach Bedarf. Es hat mir enorm viel Spaß gemacht, eine lebhafte Klasse von mehr als 40 Lausbuben und Mädchen in meinen Bann zu ziehen. Und alle Kinder bekamen bei mir nur gute Noten. Schlechte Noten hatten sie genug in fast allen anderen Fächern in der Schule. Und weil ich sowieso davon überzeugt bin, dass Kinder die besten Künstler sind, waren sie für mich alle gute Künstler.

Damals war ich eine ausgefallene Lehrerin: Angezogen war ich mit einfachen Sandalen, bunten Hippikleidern und Pumphosen und hatte sehr lange Zöpfe. Die andere Lehrerinen kamen zur Schule mit schönen Frisuren, in neuen Anzügen und eleganten Schuhen. Anstatt verheiratet zu sein, wie fast alle andere Lehrerinnen, reiste ich so oft wie ich nur konnte in den Sinai und besuchte meine Beduinenfreunde, was für die normale Schullehrer in Israel eine total verpönte Tätigkeit war. Ich durfte mich zum Glück so ungewöhnlich anziehen und benehmen, da Künstler sowieso als etwas "verrückt" eingestuft wurden.

Manche Schulleiter dachten, ich wäre sehr brav mit diesen langen Zöpfen. Sie wussten nicht, dass die Zöpfe nur so lang geworden sind, weil ich nie mit den Frisören zufrieden war, und als meine Haare so schnell gewachsen waren, musste ich aus Bequemlichkeitsgründen das wilde Haar in Zöpfen zähmen.

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Doch sehr bald merkten diese Schulleiter, dass sie von mir nicht erwarten konnten, dass - wie von anderen Kunstlehrerinen damals in Israel - die ganze Schule in unbezahlten Überstunden geschmückt wird. Ich bestand darauf, dass die Kinder, unter meiner Leitung, die Schule schmücken, weil die Schule den Kindern gehörte, und weil Kinder viel kreativere Ideen haben und frischere Bilder machen als wir Erwachsene.

Eines Tages, ich lebte schon in Deutschland, ging ich in Jerusalem in ein Büro, um eine Bescheinigung zu beantragen, dass ich soviele Jahre in Schulen als Lehrerin tätig war. Der Beamte kam mir bekannt vor. Ich ihm auch. Als er meine Unterlagen sah, begann er zu lachen. Er sagte: "Du warst in meiner Schule Lehrerin. Wir nannten dich "Pippi Langstrumpf" wegen deiner Zöpfe. Es waren tolle Erzählstunden mit dir. Und nur bei dir bekam ich gute Noten. Ich besorge dir die Bescheinigung, die du brauchst so schnell wie möglich." Ich war sehr gerührt, zu erfahren, dass ich doch gute Spuren hinterlassen habe, obwohl ich nicht Klassenlehrerin gewesen war.

Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass ich irgendwann mal ganze Säle von Erwachsenen in einen fremden Land wie Deutschland durch Märchen erzählen begeistern kann. Wenn ich heute mein Publikum im Saal betrachte, leuchtende Kinderaugen sehe und ihr Lachen höre, dann erinnert mich das an mein erstes Publikum, die Kinder von Jerusalem. Da erlebe ich wieder die Zeiten von damals und weiß, dass jedes Erlebnis, das ich je hatte, seinen richtigen Platz in meinem Leben bekommen hat.

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